„Essay“ Erinnerungen an das alte Zuhause
Nach drei oder vier Jahren stehe ich wieder an der Straßenecke meines alten Zuhauses. Am Sicherheitstor der alten Wohnung hängt immer noch das verblichene Frühlingspaar. Der Putz blättert ab, in der Luft liegt ein muffiger Geruch – als wäre alles wieder wie früher. Der kleine Hund der Nachbarin, Wangwang, bellt laut, Kochgeruch zieht durch die Fensterritzen, alles ringsum ist so vertraut. Nur der Mensch, der hier steht, ist nicht mehr der achtzehnjährige Junge, der glaubte, die Zukunft sei so klar wie im Lehrbuch.
Als ich mit den Fingern die abblätternde Wand berühre, fällt mir plötzlich ein, dass ich beim Umzug vor drei Jahren kein einziges Foto von dieser mit Erinnerungen gefüllten Wohnung gemacht habe. Damals dachte ich nur daran, dem neuen Leben entgegenzugehen, ohne zu wissen, dass manche Abschiede ein Ritual brauchen. Ich hätte nie gedacht, dass ein Raum, der zwanzig Jahre Erinnerungen getragen hat, eines Tages sogar mit seinen Schimmelflecken in der Ecke vermisst werden würde. Jetzt verstehe ich, warum die Älteren immer wieder von früher erzählen. Wenn zehn Jahre in greifbare Realität komprimiert werden, wird jeder zum nostalgischen Erzähler.
Ich hebe mein Handy, richte es auf die rostige Tür – im Bild verschmelzen das Sonnenlicht von 2025 und der Staub von 2003. Die Kratzer am Metallschloss werden immer deutlicher. Als ich mit dem Finger über die unterschiedlich tiefen Rillen fahre, wird mir klar: Diese Narben dokumentieren den Lauf der Zeit ehrlicher als jedes Wort.
Der Sucher zittert leicht, ich sehe meinen eigenen Schatten, der sich mit dem Jungen von vor zehn Jahren überschneidet, der damals mit dem Schlüsselbund spielte. Die Pfanne der Nachbarin zischt immer noch, Wangwangs Bellen durchbricht die Stille im Treppenhaus. Im flackernden Licht blättert das umgedrehte Glückszeichen an der Tür langsam ab, die Splitter werden vom Wind davongetragen. Diese vom Kochgeruch durchdrungenen Bruchstücke werden plötzlich schwer.
Es sind nicht die großen Erzählungen, die beweisen, dass wir wirklich gelebt haben, sondern die Patina am Türgriff, die mit Bleistift gezogene Markierung in der Ecke, der Staub und Rost in den Türspalten – diese kleinen Fragmente tauchen leise in der Erinnerung auf und zeichnen die Konturen der vergangenen Jahre nach.
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